Ecuador sei ein Land vieler Kulturen, heißt es immer. Meistens wird dann auf die
indígenas-Völker im Dschungel verwiesen. Die Kinder in Ecuador (auch die in unserer Fundación) lernen in der Schule die verschiedenen Kleidungen, Ess- und Lebensgewohnheiten der unterschiedlichen Völker in den unterschiedlichen Regionen Ecuadors, als wären es andere Länder und nur die Wenigsten haben diese Realität jemals mit eigenen Augen gesehen. Was bedeutet diese Vielfalt also für das Land und seine Bewohner? Wie kann man sich das genau vorstellen?
Auf einige Fragen (die ich mir zuvor teilweise gar nicht bewusst gestellt hatte), habe ich in der letzten Woche einige Antworten bekommen, die ich gerne versuche, so gut wie möglich mit euch zu teilen. In der Woche vom 25. - 29.05. haben Laura und ich (nach dem Ablegen des C2-Examens in Quito --> Ergebnisse gibt's im August!! <--) an einer Reise in den
Nationalpark Yasuní teilgenommen, die in Zusammenarbeit einer
comunidad indígena und einem deutschen Reisebüro organisiert wurde und an der wir als Freiwilligen-Gruppe sozusagen als Versuchskaninchen teilgenommen haben.
Wir durften eine Woche lang eintauchen in eine neue Kultur innerhalb der bereits bekannten Kultur Ecuadors. Eine Kultur, die wie jede andere auch ihre Bräuche hat, ihre besonderen Gerichte, ihre Traditionen und ihre Sprache. Nachdem ich ein Jahr lang Zeit hatte, in der spanischen Sprache anzukommen, war es eine interessante Erfahrung, die Kichwa-Sprache des Amazonasgebietes kennenzulernen und feststellen zu dürfen, dass es nicht nur gar nichts (aber wirklich
gar nichts!) mit Spanisch zu tun hat, sondern außerdem meilenweit von dem Kichwa der Sierra entfernt ist, das ich immerhin im Laufe des Jahres schon ein Bisschen mitbekommen habe.
Randbemerkung: Dieser "Tourismo comunitario" ist ein relativ neues Model von Tourismus, das in den letzten Jahren in Ecuador entstanden ist und langsam Fuß fasst. Es geht dabei darum, die natürliche kulturelle Vielfalt Ecuadors touristisch zu nutzen und in der Zusammenarbeit mit den Comunidades ebendiese Bevölkerung zu unterstützen und ihnen eine Möglichkeit zu bieten, sich der modernen Welt anzupassen ohne dabei ihre Traditionen aufgeben zu müssen, weil eben gerade diese Traditionen die Touristen anziehen sollen.
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Der Yasuní-Nationalpark im Amazonasgebiet |
LOS GING ES am Montag, den 29.06. mit einem Zusammentreffen der gesamten Gruppe in Coca, der letzten größeren Stadt (ca. 40 000 Einwohner), bevor der richtige Dschungel beginnt. Unter den 12 deutschen Jugendlichen waren auch einige bekannte Gesichter vom Weltwärts- bzw. Zwischenseminar dabei und nach einem kurzen Kennenlernen ging es dann auch schon - in Begleitung des Guides - mit dem Boot den Rio Napo hinunter. Beziehungsweise hinein - hinein in den Dschungel. Sagenhafte 12 Stunden (also den gesamten ersten Tag) verbrachten wir nur damit, in unserem kleinen Bootchen tiefer und tiefer in den ecuadorianischen Amazonas zu fahren und sowohl vom Boot aus als auch bei den gelegentlichen Klo- und Essenspausen am Festland die unglaublich
grüne Landschaft zu bestaunen.
Es ist schon erstaunlich, wie müde man am Ende eines Tages sein kann, an dem man praktisch NICHTS getan hat außer in einem Boot gesessen, aber als wir schließlich in unserer Unterkunft ankamen (einer gemütlichen, mit Ein-Mann-Zelten bestückter Holzhütte), waren wir sehr dankbar für die frühe Nachtruhe in den zum Glück Moskito-freien Zelten.
TAG ZWEI - Frühstück um 6:30 Uhr, dann Abfahrt von
Sacha Ñampi ("Weg im Dschungel"), unserer Unterkunft. "Abfahrt" bedeutet hier immer und ausschließlich Boot. Was in der uns bekannten, westlichen Welt ein Straßennetz ist, ist hier im Dschungel der Fluss. Wie auf der Autobahn gibt es den Hauptfluss, den Rio Napo, von dem verschiedene Nebenflüsse abzweigen (besonders schön zu beobachten ist das, wenn die Flüsse unterschiedliche Farben haben), die zu den verschiedenen Comunidades und kleinen Siedlungen am Flussufer führen. Wir sehen auf unserem Weg unterschiedliche Vögel, auf die uns unser Bootsführer oder unser Guide aufmerksam machen und verschiedene Lagunen. Bei einer kleinen Wanderung durch den Dschungel erklärt uns unser Guide (der übrigens aus einer Nachbar-comunidad stammt) die Pflanzen und Insekten auf dem Weg.
Am Abend kommen wir nach Sacha Ñampi zurück und auf dem Plan steht ein kleiner traditioneller Kochkurs, in dessen Rahmen wir unser Abendessen zubereiten sollen. Unter Anleitung der Köchin
Chicha" des Dschungels herstellt. Chicha ist ein alkoholhaltiges Getränk, das in ganz Ecuador getrunken wird und je nach Region aus Mais oder Yuka hergestellt wird. Über die Chicha, wie sie im Dschungel zubereitet wird, kursieren allerdings unter Ecuadorianern jede Menge Gerüchte (
"Trink das bloß nicht, das ist super stark!", "
Die ist voll ekelig", "
Da spuckt jeder einmal rein, bevor die Schüssel weitergegeben wird" oder "
Wenn sie einem angeboten wird, kann man sie nicht ablehnen, das wäre eine Beleidigung"). Gehen wir nun also mal den bekanntesten nach:
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links: Köchin bereitet den "Maito" zu rechts: Frau bei der Herstellung der "Chicha" |
kochen wir traditionelles "Maito", ein Gericht aus Fisch, der in ein Palmenblatt eingewickelt gekocht und dann mit Reis oder Bananen serviert wird. Außerdem lernen wir an diesem Abend, wie man die sagenumwobene "
1. Die Dschungel-Chicha ist stark: Kommt natürlich immer auf die Zubereitung an, allerdings ist es kein Wodka und die Menschen hier sind aufgrund von dauerndem Konsum auch sehr daran gewöhnt (sogar Kinder werden schon mit der Muttermilch daran gewöhnt).
2. Ablehnen wird als Beleidigung aufgefasst: Es ist tatsächlich so, dass hier zu eigentlich jedem Anlass Chicha angeboten wird. Feste, Versammlungen,... Begrüßung. Man kann sich das Ablehnen der Chicha also vielleicht so ähnlich vorstellen wie eine ausgestreckte Hand zur Begrüßung - die der Besuch nicht annimmt.
3. Im Dschungel wird in die Chicha gespuckt: Wahr. Tatsächlich wahr. Allerdings nicht ganz so, wie es die landläufige Meinung ist. Es ist nicht so, dass jeder dahergelaufene einfach mal so in die Schüssel spuckt - vielmehr ist der Prozess des
Kauens (nicht wirklich spucken!) beim Fermentieren des Getränks und unterliegt strengen Richtlinien. Die Frauen, die hierfür zuständig sind, müssen sich einer regelmäßigen zahnärztlichen Kontrolle unterziehen und vor der Zubereitung der Chicha müssen die Zähne natürlich gut geputzt werden.
TAG DREI - Da wir am Vortag demonstriert haben, wie sehr wir uns bereits an die "hora ecuatoriana" (die ecuador-typische Unpünktlichkeit) angepasst haben, werden wir heute von unserem Guide etwas früher aus den Zelten geholt, um bei Zeit abfahren zu können. Es geht den Fluss entlang bis zu einer kleinen Comunidad, die mit einer ganz besonderen Spazialität am Tourismusprojekt der Region teilnimmt: Der "
Affeninsel". Vor einigen Jahren lebte den Erzählungen zufolge ein Mann auf der kleinen Insel im Fluss und mit ihm gelangten auch einige Affen auf die Insel. Die Affen überlebten jedoch ihren Besitzer, vermehrten sich und da sie die Insel nicht verlassen konnten, bildeten sich drei Affenstämme, die bis heute auf der Insel leben und dank dem kleinen Umfang der Insel von Besuchern besonders gut beobachtet werden können. Nach der Affeninsel ging es zur nächsten Station, einer Comunidad mit dem Namen "
Santa Teresita", wo wir die Regeln des Überlebens im Dschungel theoretisch und praktisch vorgeführt bekommen. Von medizinischen Pflanzen bis hin zu traditionellen Jagdtechniken und Fallen dürfen wir nicht nur anschauen, sondern auch anfassen - und ausprobieren. Im Rahmen eines kleinen Basrohr-Wettbewerbs wird der beste Jäger der Gruppe ermittelt (beziehungsweise die einzigen Personen, die das Ziel überhaupt treffen!) und das sind - ob das jetzt an Emanzipation oder der prozentualen Überlegenheit liegt, sei mal dahingestellt - zwei Mädchen!
Als letzter Programmpunkt steht heute die Observation eines ganz besonderen Baumes, des sogenannten "
Ceibos" an. Im Laufe unserer Reise sollen wir noch mehrere dieser gigantischen Bäume sehen, deren Wurzeln sich wie rießige Zelte mehrere Meter in die Höhe strecken, doch jedes Mal ist es wieder beeindruckend zu sehen, wie hoch diese Bäume werden können, die wie geheimnisvolle Riesen in den Himmel ragen und die Geschichten von über 300 Jahren Lebenserfahrung erzählen könnten.
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Der Nationalpark Yasuní. Ausgangspunkt unserer Reise: Coca am Rio Napo Unsere Unterkunft: im Bloque ITT, am Rio Napo |
TAG VIER - Heute geht es den Rio Napo entlang bis zur
Grenze Ecuador-Peru. Wir durchqueren den gesamten Dschungel Ecuadors entlang des Flusses, der in Peru weiterfließt und überschreiten
sogar kurz die Grenze zu Fuß. Es ist ein geniales Gefühl, zu wissen, dass wir praktisch mitten im Dschungel sind, an der äußersten Grenze des Landes.
Heute lernen wir außerdem das traditionelle Handwerk der Dschungel-indígenas kennen. So besuchen wir zum Beispiel das "
Museo de barro" ("Tonmuseum"), wo wir von der Gewinnung des Tons aus einem kleinen Fluss bis hin zur Verarbeitung in Handarbeit jeden Schritt verfolgen konnten. Als es dann daran ging, uns selbst im Handwerk zu versuchen (in der Herstellung eines Garns, das aus einer Palme gewonnen wird), wurde uns allerdings erst klar, dass das Ganze eindeutig einfacher aussieht als es ist und jahrelange Übung erfordert, weswegen Handwerk hier auch meistens von Generation an Generation weitergelehrt und -gegeben wird.
Eine andere Sache übrigens, die von Generation zu Generation weitergegeben wird, abends beim gemütlichen Zusammensitzen mit Chicha, sind die Legenden und Mythen rund um den Dschungel und seine Geister. Zwar ist die Bevölkerung hier (wie im gesamten Land) katholisch, aber wie immer und überall mischt sich auch hier die katholische Religion mit althergebrachten Überzeugungen und den Göttern, die die Menschen in dieser Region schon immer hatten. So werden hier zum Beispiel einerseits biblische Geschichten über die Entstehung des Regenbogens erzählt, andererseits aber auch von Waldgeistern, die oftmals in Gestalt von Tieren entstehen (sehr häufig als Boa, eine gewaltige Wasser-Schlange) und den Wald beschützen. Die Energie des Dschungels (kichwa: "
sacha"), die
Sachamama, ist ein mächtiger Einfluss im Leben und Alltag der Bewohner und dementsprechend wichtig sind auch die Schamanen für einen Stamm. Eine ziemlich treffende Zusammenfassung fand ich folgende:
Die Menschen hier sind zwar katholisch und sie haben Zugang zu Krankenhäusern und westlicher Medizin, aber wenn es hart auf hart kommt, dann geht man eben doch zuerst zum Schamanen.
ABREISE - Die Woche ist wie im Fluge vergangen und heute geht es auch schon wieder zurück nach Coca. Natürlich wieder ein 12-h-Boots-Trip, jedoch sieht diesmal alles irgendwie vertraut aus und wir haben während der Reise genug Zeit, uns vom Dschungel zu verabschieden und die vielen neuen Erfahrungen und Eindrücke in uns nachklingen zu lassen. Um ca. 17:00 Uhr kommen wir dann in Coca an und nach einer herzlichen Verabschiedung geht schließlich jeder seiner Wege, wobei viele zum Terminal führen, wo jeder den jeweiligen Bus zurück in die bekannte Realität sucht.